Blogtour zu Findelmädchen von Lilly Bernstein & Interview

Schon lange wollte ich “Trümmermädchen” lesen, aber irgendwie habe ich es immer wieder aus den Augen verloren. Stattdessen habe ich jetzt “Findelmädchen” gelesen und es von der ersten Seite an geliebt.  

Claire und Albert haben die Geschwister Helga und Jürgen auf der Suche nach ihrem Sohn vor einem Bunker in Köln aufgesammelt und mit nach Frankreich genommen. Dort leben die beiden nun und wissen nicht, was im 2. Weltkrieg mit ihren Eltern geschehen ist. Nach 10 Jahren des Wartens und des Hoffens bekommen sie einen Brief, in dem ihnen mitgeteilt wird, dass der Vater der beiden gefunden wurde. Sie ziehen wieder zurück nach Köln und versuchen sich in der Nachkriegszeit im noch nicht komplett wieder aufgebauten Deutschland wieder zurecht zu finden. Helga möchte nichts anderes als schreiben, aber ihr Vater weigert sich, sie aufs Gymnasium gehen zu lassen. Er meldet sie bei der Haushaltungsschule an. Während eines Praktikums muss sie in einem Waisenhaus arbeiten. Dort erlebt sie, welche schrecklichen Dinge den Kindern dort angetan werden und versucht mit allen Mitteln etwas dagegen zu tun.  

Zunächst kann ich dir sagen, dass man “Findelmädchen” auch sehr gut lesen kann, wenn man den Vorgänger nicht kennt. Die Figuren, die in “Trümmermädchen” eine Rolle spielen, werden entweder komplett neu eingeführt oder nur am Rande erwähnt. Mir hat jedenfalls keine Information über die Figuren gefehlt und die Handlung konnte ich auch komplett nachvollziehen.  

Das Buch ist aus der Perspektive von Helga geschrieben, die zunächst vom für sie nicht so einfachen Leben in Frankreich berichtet, denn dort sind Helga und Jürgen die boches, die niemand haben will. Tante Claire und Onkel Albert dagegen lieben die beiden wie eigene Kinder. Das Leben in Köln ist auch nicht viel einfacher für Helga, weil sie zunächst die Haushaltungsschule besuchen muss und dann im Waisenhaus mit ansehen muss, wie die Kinder von den Nonnen misshandelt werden. Nicht selten war ich während der Lektüre des Buches genauso verzweifelt wie Helga. 

Eine der Charaktere, die ich am meisten in mein Herz geschlossen habe, Fanny, steht stellvertretend für viele Menschen aus der im Buch beschriebenen Zeit, die ca. 10 Jahre nach dem Krieg beginnt. Fanny hat alles verloren und nach dem Krieg hart gekämpft um sich ein neues Leben genau nach ihren Wünschen zu gestalten. Ihre “MIlchbar” hätte ich samt Musik gerne mal im wahren Leben erlebt.  

Wenn du Bücher magst, die in der Nachkriegszeit spielen, die von ganz normalen Menschen erzählen und die mit viel Herz geschrieben sind, ist “FIndelmädchen” genau das richtige für dich.  

Der Beitrag gehört zur Blogtour um das Buch “Findelmädchen” von Lilly Bernstein. Bei Frau Goethe liest findest du die Schauplatzbeschreibungen. Geh gerne mal bei ihr vorbei. Sie verbindet mit Köln eigene Erinnerungen.  


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Seiten: 592 

Herausgeber: Ullstein Taschenbuch 

Erscheinungstermin: 28. Juli 2022 

ISBN: ‎ 978-3548065687 




Über die Autorin (Quelle: Ullstein Verlag): 

Lilly Bernstein ist das Pseudonym der Kölner Journalistin und Autorin Lioba Werrelmann, deren Debütroman Hinterhaus 2020 mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet wurde. Ihr letzter Roman, Trümmermädchen, war ein großer Presse- und Publikumserfolg. Mit Findelmädchen erzählt sie die Geschichte der Trümmerkinder weiter. 

Findelmädchen von Lilly Bernstein
© Susanne Esch


Interview mit Lilly Bernstein: 

Dein neuer Roman „Findelmädchen“ ist gut gestartet. Er ist erst vor zwei Wochen erschienen, und der Verlag druckt bereits die zweite Auflage. Wie fühlt sich das an?

Das fühlt sich wunderbar an. Der Vorgänger-Roman „Trümmermädchen“ war ja ein echter Überraschungserfolg, mit dem niemand gerechnet hatte. Während ich nun das „Findelmädchen“ schrieb, habe ich mich die ganze Zeit gefragt, ob ich die Leser:innen, die das „Trümmermädchen“ so mochten, noch einmal begeistern kann. Das ist, ehrlich gesagt, ein ziemlicher Druck, der da auf dir als Autorin lastet. Umso glücklicher bin ich jetzt, und, ja, ich bin auch sehr erleichtert.

Wie hast Du für das Buch recherchiert? Ich stelle es mir schwer vor, von Betroffenen diese Details zu erfahren.  

Ich bin erst einmal tief in die fünfziger Jahre eingetaucht. Das heißt, ich habe ganz viel über diese Zeit gelesen, auch Bücher, die damals geschrieben wurden, habe alte Filme geguckt, alte Bilder, war im Haus der Geschichte in Bonn, im Freilichtmuseum in Kommern – wo übrigens Fannys Milchbar steht -, und dann erst habe ich mit Zeitzeugen gesprochen, auch mit ehemaligen Heimkindern. Sie haben mir ganz viel über den Tagesablauf im Heim erzählt, wie alles organisiert war, wo welches Gebäude stand – das Heim hat es ja tatsächlich gegeben, ich wohne heute ganz in der Nähe. Ich wollte gerne eine Geschichte schreiben, die sich so hätte zutragen können. Die schlimmen Details habe ich nicht einzeln abgefragt, ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Ich habe sie aus den Erinnerungen ganz vieler Heimkinder zusammen getragen, wie sie unter anderem im Abschlussbericht des Runden Tisches Heimerziehung stehen, den der Bundestag eingerichtet hatte, um diese Zeit aufzuarbeiten. Tatsächlich hat sich beinahe alles, was ich im „Findelmädchen“ erzähle, so oder ähnlich in deutschen Heimen in den fünfziger Jahren zugetragen. Aber zum Glück geht es im „Findelmädchen“ ja nicht nur um Schlimmes. Ich erzähle ja auch eine Liebesgeschichte …

Genau! Helga bekommt von Konradin, der im Haus ihrer Familie einquartiert ist, Bücher wie “Schloss Gripsholm” von Kurt Tucholski oder “Bonjour Tristesse” von Françoise Sagan geschenkt und ist total begeistert davon. Teilst Du ihre Liebe zu diesen Büchern und wenn ja, warum? 

Ja, diese Bücher liebe ich, „Bonjour Tristesse“ habe ich genau wie Helga gelesen, als ich noch sehr jung war, und konnte gar nicht glauben, dass man so schreiben kann. Und „Schloss Gripsholm“ hat mir mal jemand, den ich sehr geliebt habe, geschenkt. Er hatte eine besonders hübsche Ausgabe auf dem Flohmarkt gefunden. Ich habe sie für meine Recherchen wieder hervorgeholt und entdeckt, dass sie aus dem März 1955 stammt! Also aus genau der Zeit, in der der Roman spielt! Das Büchlein, das ich im „Findelmädchen“ beschreibe, mit dem weißen Schloss auf dem Cover, dem Blütenkranz und der Girlande, das steht also bei mir zu Hause im Bücherregal.

Wie viel von Helga steckt in Dir? Eine Gemeinsamkeit habe ich gefunden: Ihr habt beide beim WDR gearbeitet. Gibt es weitere? 

Es gibt Details, wie die Bücher, die wir beide lieben, dass wir beide von klein auf gerne schreiben, dass wir beide beim WDR arbeiten. Ansonsten ist Helga frei erfunden, ein Mädchen, das ich, als ich jünger war, gern zur Freundin gehabt hätte.

Fannys Milchbar hat es mir angetan, besonders der Rock´n´Roll. Wie bist du darauf gekommen sie so eine Bar zu eröffnen zu lassen und diese “Affenmusik” dort laufen zu lassen? Ist dies nur dieser Zeit geschuldet? 

Ich bin selber Bäckerstochter, und ich liebe Orte, an denen Köstliches hergestellt und gegessen wird, wo es gut duftet, wo die Menschen sich begegnen. Nachdem es im „Trümmermädchen“ eine kleine Bäckerei gab, musste es jetzt passend zu den Fünfzigern eine Milchbar sein. Und natürlich habe ich beim Schreiben sehr viel Musik aus der Zeit gehört und so manchen Ohrwurm behalten 😉

Wird es noch einen weiteren Teil als Nachfolger von „Trümmermädchen“ und „Findelmädchen“ geben?

Ja! Es wird einen dritten Band geben, der zu Beginn des Zweiten Weltkrieges spielt. Es wird also keine klassische Fortsetzung, aber ich überlege, einzelne Figuren wieder auftauchen zu lassen – dann in einer jüngeren Version.

Warum hast Du Dich entschieden unter Pseudonym zu schreiben? 

Ich hatte schon einen preisgekrönten Krimi, einen Roman und ein Sachbuch geschrieben, das „Trümmermädchen“ war mein erster historischer Roman, und weil es ein ganz anderes Genre war, haben wir uns für ein Pseudonym entschieden. Das machen viele Autor:innen, wenn sie das Genre wechseln. In meinem Fall ist es ja auch ein offenes Pseudonym, das heißt, es ist klar, wer dahinter steckt.

War es schwierig für Dich vom faktenbezogenen Schreiben für die journalistischen Tätigkeiten zum Schreiben von Romanen umzustellen?  

Als ich mich endlich getraut habe, war es ganz leicht. Vorher habe ich mir viele Gedanken gemacht, ob ich das kann. Heute wünschte ich, ich hätte viel früher mit dem literarischen Schreiben angefangen. Zaudern lohnt sich nicht 🙂

Darfst Du schon etwas über Dein aktuelles Projekt erzählen? 

Sehr gerne. Ich schreibe gerade an einem Krimi, der in Siebenbürgen spielt. Er erscheint im Januar, und dann auch unter meinem richtigen Namen.

Welche Genres liest Du privat am liebsten? 

Ganz ehrlich? Ich bin eine Krimi-Leserin. Ich verschlinge sie.


Weitere Beiträge zu Blogtour findest du hier:







11 Kommentare zu „Blogtour zu Findelmädchen von Lilly Bernstein & Interview“

  1. Ahhhhhhhhhhh ganz unten finde dann auch ich die Kommentarfunktion. Ist es nicht erschreckend wie sehr Frauen früher unterdrückt wurden? Nicht einmal die Schulbildung die sie wollten durften sie ohne Erlaubnis des Vaters bekommen.

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